Interview mit Gerald Scarfe

Ein ausgedehnter Trip – Interview mit Gerald Scarfe

Melodie & Rhythmus, September 2019

Gerald Scarfe ist einer der vielleicht bissigsten britischen Karikaturisten. Seit den 60er Jahren veröffentlicht er fast durchgehend wöchentlich Karikaturen zum politischen und kulturellen Zeitgeschehen und seine Arbeit für Pink Floyds multimediales Projekt »The Wall« machte ihn weltweit bekannt. Nun blickt der Künstler in seiner Autobiographie »Long Drawn Out Trip: My Life« auf seine Karriere zurück.

Warum haben Sie sich dazu entschieden, ein Buch über Ihr Künstlerleben zu schreiben? Wäre ein autobiografischer Comic nicht passender?

Das stimmt wohl − ja. Der Grund ist recht einfach: Man hat mich gefragt. Ich war immer ein sehr zurückhaltender Mensch, der nie viel über sich selbst erzählt hat, und geschrieben habe ich auch nie viel; also ist es für mich eine Herausforderung, und das mag ich daran. Natürlich habe ich auch meine Bedenken, dass der Zug sozusagen abgefahren sein könnte. Große Aufmerksamkeit hatte mein Leben nie, und nun im Alter brauche ich das auch nicht wirklich.

Woher stammt der Titel des Buches?

Eigentlich handelt es sich bei »Long -Drawn Out Trip« um einen Trickfilm, den ich 1971 nach einem Aufenthalt in Los Angeles gemacht hatte. Darin habe ich mich kritisch mit der Doppelmoral der US-amerikanischen Gesellschaft auseinandergesetzt und auch zum Entsetzen einer Menge Leute Micky Maus beim Drogenkonsum gezeichnet. Den Film nannte ich so wegen der Mehrfachbedeutung. »Drawn-out« bedeutet ja »ausgedehnt«, und meine Zeit dort war recht lang. Außerdem hat »drawn« natürlich mit meinem Job, dem Zeichnen, zu tun, und »trip« wählte ich einerseits, weil ich ja auf einem Ausflug in den USA war, anderseits natürlich auch wegen der Konnotation zu den Drogen. Mein Sohn schlug schließlich diesen Titel vor, und wegen der verschiedenen Ebenen habe ich das schließlich akzeptiert, obwohl ich mir einen besseren gewünscht hätte. Aber es fiel mir keiner ein.

Sie haben mit 16 angefangen zunächst als Werbezeichner zu arbeiten, kamen dann aber bald zum Satiremagazin »Private Eye« und wurden Karikaturist. Während ihrer nun fast 60 Jahre andauernden Karriere haben sie mit dutzenden Künstlern, Bands und auch Disney zusammengearbeitet. Was war für Sie das wohl prägendste Erlebnis?

Ich bin ja eigentlich primär ein politischer Karikaturist, aber tatsächlich war das wohl meine Arbeit mit Pink Floyd. Diese Zeit war nicht nur unheimlich kreativ, sondern hat mich wohl weltweit berühmt gemacht und mein Leben daher doch recht stark beeinflusst. Bis heute bekomme ich wöchentlich Anfragen von Fans dazu, es begleitet mich also wirklich seit 40 Jahren.

Wie kam ihre Zusammenarbeit mit Pink Floyd überhaupt zustande?

Die Band hatte meinen Trickfilm von 1971 gesehen und war davon offenbar so angetan, dass sie mich baten, zu einem ihrer Konzerte zu kommen. Wir verstanden uns von Anfang an sehr gut und so kam es dann, dass ich sie nicht nur karikieren, sondern auch Animationen für die Bühnenshow zu »Wish You Were Here« anfertigen sollte. 1978 schließlich hatte Roger Waters die Idee für das Konzeptalbum »The Wall« und nahm einige Demos auf, die er mir vorspielte, erklärte und mich dann darum bat, ihm dabei zu helfen.

Das klingt, als hätten Sie an der Entstehung des Albums einen starken Einfluss gehabt. Wie würden Sie die Arbeit an »The Wall« beschreiben?

Einfluss gab es bestimmt, aber es war, glaube ich, kein großer. Roger und ich haben versucht uns zuzuarbeiten. Wenn ich etwas zeichnete das ihm gefiel, wie zum Beispiel die marschierenden Hämmer, dann nahm er das gleich in seine Lyrics auf. Umgekehrt natürlich genauso. Das war der erste Schritt, der dann auch gleich in der grafischen Gestaltung der Platte und in der Bühnenshow mündete. Der Spielfilm wiederrum gestaltete sich dann als etwas schwieriger. Mit Roger Waters, dem Regisseur Alan Parker und mir waren drei enorme Egos für den Film verantwortlich und die Atmosphäre kochte nicht nur einmal über. Der Wunsch das Projekt aber fertig zu bekommen war so groß, dass wir doch ein ziemlich gutes, gesellschaftskritisches Werk zusammenbrachten. Dreißig Jahre später ging Roger dann Solo mit dem Album auf Tour und hat die individuelle Antikriegsbotschaft aus seiner eigenen Biografie umgewandelt in eine deutlich politischere, allgemeingültige Botschaft gegen all die bewaffneten Konflikte, die es zur Zeit gibt. Hier war ich dann für neue Animationen und vor allem neue aufblasbare Figuren für die Show verantwortlich.

Auch vierzig Jahre nach seinem ersten Erscheinen hat »The Wall« nicht an Faszination eingebüßt. Bis heute verkaufen sich Album und Film stark und es werden auch wissenschaftliche Abhandlungen darüber geschrieben. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Ich habe keine Ahnung, warum das so ist! Als ich damals daran arbeitete, hatte ich so etwas nicht geahnt. Ich glaube es sind einerseits die Animationen, die tiefer schürfen, als Trickfilme das normalerweise tun. Ich wollte etwas anderes machen, sich bewegende Kunst. Die Union Flag, die sich in ein blutendes Kreuz verwandelt, der Geier, der zum Bomber wird und solche Dinge eben. Aber vor allem sind es wohl die Lyrics, die eine universelle Botschaft gegen Krieg, gegen Rassismus und Faschismus auf eine sehr individuelle Art vermitteln und die Menschen einfach berühren und gerade junge Menschen wohl auch etwas aufrütteln.

Stichwort aufrütteln. Was rüttelt Sie mit 83 Jahren und nach so einem bunten beruflichen Leben immer noch dazu auf, weiterhin so intensiv zu arbeiten?

Es ist derselbe Grund, der mich damals in den 60er Jahren damit anfangen ließ. Karikaturen zu zeichnen ist für mich ein Weg zurückzuschlagen gegen bestimmten Politiker, ihre Arroganz und wie sie unsere Welt gegen die Wand fahren. Als ich ein krankes asthmatisches Kind und von der Welt und meinen Freunden abgeschnitten war, war das mein einziger Weg mich auszudrücken und bis heute schaffe ich es damit zu artikulieren, was ich denke, fühle und welche Sorgen ich um unsere Welt habe. Und außerdem macht es mir einfach unheimlichen Spaß, weshalb ich oft den ganzen Tag nur im Büro sitze und zeichne.

Gerade in den letzten Jahren wird es oft zusehends schwieriger, zwischen Satire und Realität zu unterscheiden, was einige Satiriker zum Ausruf brachte, dass ihr Geschäft immer anstrengender wird. Geht es ihnen auch so?

Ganz im Gegenteil sogar. Je schrecklicher und widerlicher diese Typen, die unsere Welt regieren werden, desto mehr kann ich mit ihnen machen. Trump zum Beispiel – und ich hasse diesen Typen – ist wegen seinem ganzen Gehabe einfach wunderbar zu zeichnen. Oder nehmen Sie Boris Johnson. Er ist ein Idiot, freilich ein cleverer Idiot, aber er eignet sich gerade deswegen wunderbar, von mir aufs Korn genommen zu werden. Also beruflich ist dieser schreckliche und so absurd wirkende Zustand, in dem sich die Politik weltweit befindet, für mich natürlich wunderbar.

Es klingt ganz so, als hätten Sie auch die kommenden Jahre noch viel zu tun. Haben Sie denn konkrete Pläne für die Zukunft?

Die Arbeit an meiner Autobiographie hat mich dazu gebracht, erstmals über meine Werke nachzudenken und ich will nun anfangen, die ganzen Entwürfe und Zeichnungen zu katalogisieren. Außerdem gibt es Leute, die gerne mein ganzes Archiv zu Pink Floyd haben wollen. Das müsste dann aber in ein umfassendes Museum verwandelt werden und ehrlich gesagt würde ich mir dasselbe auch für meine Arbeiten für »Disneys Herkules« und die politischen Karikaturen wünschen. Das ist natürlich sehr kostspielig. Reizen würde mich für die Zukunft eine kollaborative Arbeit mit anderen Menschen zum Beispiel im Theater oder im Film, weil das Leben als Künstler ja doch ein eher einsames Leben ist.